Bonjour Total

 

„I seem to recognize your face
Haunting, familiar, yet I can‘t seem to place it
Cannot find the candle of thought to light your name
Lifetimes are catching up with me“1
Eine Begegnung an einer Tankstelle hinterlässt einen bleibenden Eindruck.
Die Tankstellenwartin am Nachtschalter – en face – blickt gelangweilt und unbeeindruckt
auf mich, ihr Gegenüber. Beeindruckend dagegen ist ihr Auftreten: Perlenkette und PerlenOhrringe; Make-up, auffallendes Rouge, die Augenbrauen dunkel nachgezogen, fransige
Ponysträhnen, ein starker Malventon um ihre Lippen. Die Pinselstriche des Malers
scheinen nicht von ungefähr zu kommen. Fast ein wenig verliebt kreisen sie um die
Konturen ihres Gesichts, um jede einzelne Perle und über ihre Augenlider. Vielleicht war es
der pastose Auftrag ihres blauen Lidschattens, der den nachtschwärmenden Künstler
schließlich zum Portrait inspirierte. Mit dem gleichen Blauton bringt er ebenso das Glas des
Fensterschalters zum Glänzen. Nur die Durchreiche lässt blicken. Nur eben nicht tief. So
wie Adrian Mudder die eigenwillig schicke Dame hinter das Glas setzt – ihre Arme auf
Höhe der Brust abwärts hinter dem Tresen verborgen – könnte sie gleichwohl eine Büste
darstellen. Ihr unbelebtes, maskenhaftes Dasein trägt das Ihrige zu diesem Eindruck bei.
Und doch: Wiedersehen macht irgendwie Freude.
„I just wanna scream „Hello!“
My God it‘s been so long
Never dreamed you‘d return
But now here you are, and here I am“
Die Leuchtschrift-Anzeige der französischen Tankstellen-Kette „Total“ und des
dazugehörigen Cafés „Bonjour“ verschmelzen zu einer durchdringend neonesquen
Lichteinheit. Sie scheint nach Aufmerksamkeit zu schreien. Mudder wählt hellgelben und
weißen Sprühlack, der flach und deckend das obere Bilddrittel einnimmt und darüber
hinaus als heller Nebel über das Motiv gelegt ist. Kleine Lacklachen sind auf der Leinwand
getrocknet und werden zu Fokuspunkten einer Lichtquelle. Darauf setzt er in Öl die leicht
durchscheinenden roten Buchstaben und betont mit ein paar comicartigen Speedlines das
strahlende Licht. Tatsächlich stellt sich der Eindruck einer melancholischen Budenromantik
ein. Immerhin sind Tankstellen wahre Lichtinseln in der Nacht und sie spendieren – trotz
der klammkalten Lichtatmosphäre – temporäres Asyl und manche schräge Begegnungen. Außerdem
stillen sie 24/7 Konsumbedürfnisse jeglicher Art. Allein die überzogen fetten Käfer auf der
Schalter-Scheibe, die erst nachträglich auf das Bild gesetzt worden sind, geben dem
Ganzen etwas Groteskes, das fast schon an Geisterbahnen auf Kleinstadtjahrmärkten
erinnert.
„I changed by not changing at all
Small town predicts my fate
Perhaps that‘s what no one wants to see“
Was möchten Menschen sehen? Was hat Malerei unserem schier unstillbaren Sehbedürfnis
überhaupt (noch) zu bieten? Es sind eben jene ins Surreale stolpernde Momente im Alltag,
die den Maler Adrian Mudder das Smartphone zücken lassen. Nein, nicht um die Situation
schnell zu fotografieren. Sondern mittels Zeichen-App eine schnelle Skizze davon zu
machen. Ein mögliches Sprungbrett für eine nachträgliche, malerische Auseinandersetzung
im Atelier. In seiner facettenreichen Malerei treffen so auch Maki-Sushi-Variationen auf
herumliegende Smartphones, Zimmerpflanzen aufwatschelnde Flaschen. Neuerdings häufig
umrahmt von einer Kunstlichtatmosphäre. Gerne dunkelbunt mit gelegentlichen
Ausbrüchen ins Grelle.
Nachtszenen, Stillleben, Portraits; Zeichnung, Malerei inklusive experimenteller Wandund Fenstermalerei. Das ist das Spektrum des Malers, der einst von Delmenhorst auszog
und in Leipzig gelandet ist. Seine Arbeit kümmert sich selten um formale oder faktische
Kohärenz. Er vereint unterschiedliche Mal- und Zeichenstile, gegensätzliche Farbtöne und
scheinbare visuelle Unstimmigkeiten. Indem er die westliche Kunstgeschichte, die er hier
und da zitiert, oft mit der Realität eines Alltagsmoments verquickt, streift er so die
komplexe, absurde und widersprüchliche Natur der Frage, was oder wen zeitgenössische
Malerei erhellen kann.
„Memories like fingerprints are slowly raising
Me you wouldn‘t recall for I‘m not my former“
In seinen neueren Arbeiten spielt Mudder mit den malerischen Impulsen digitaler
Zeichentools. Benutzt er – ganz simpel – eine frei zugängliche App auf seinem Smartphone
statt spezieller technisch ausgefeilter Zeichenpads, die in der Illustration längst zum
Standard geworden sind, verkompliziert er damit die Beziehung zum klassischen Medium
Malerei kaum. Seine Neugier und Experimentierfreude wird im Angesicht des
Touchscreens vielmehr zur Projektion seiner figurativen Malerei. Seine Lust am Material,
am Tupfen, Sprühen, Kratzen, Wischen, Streichen der Farbe bleibt ungestillt. Für Mudder
werden Motive aus allen Ecken des Alltags generiert: Freunde, Kneipen, Stadt, Festivals,
Tischszenen, Natur, Menschen, Tiere, Wege, Häuser, Licht. Dabei sind sie so schwebend
wie die branchenübliche Jonglage mit Malerei-Vokabeln, darunter geometrische
Abstraktion, magischer Realismus bis hin zu einer naiven Figuration.
Stehe ich mit anderen wieder am Schalter, stelle ich mir vor, die Bilder würden meiner
Erwartungshaltung der Malerei gegenüber tatsächlich so unverdrossen dreinblicken. So wie
diese Frau, die mich auf einer Höhe anzusehen scheint, für die ich mich tatsächlich bücken
müsste, um mit in ihr ins Gespräch zu kommen. Bevor ich das tatsächlich einmal
ausprobiere, höre ich wieder die Stimme von Eddie Vedder im Outro des Songs „Elderly
Woman Behind The Counter In A Small Town“, das für mich zu meinem Ohrwurm beim
Betrachten dieses Gemäldes geworden ist: „Hearts and thoughts they fade away...“. Da ich
das so nicht stehen lassen kann, grüße ich in gebückter Haltung lieber: „Voll hallo!“.
Aneta Palenga